Der Krieg gegen die Zivilbevölkerung in Zahlen
Robin Walz
Seit dem 7. Oktober 2023 hat Israel im Gazastreifen mindestens 25 0001 Palästinenser:innen getötet, über 60 000 wurden verletzt (Stand 23.1.2024). Mehr als 8000 Menschen werden noch vermisst – die meisten befinden sich wohl unter den Trümmern zerstörter Infrastruktur.
Bisher hat die israelische Armee rund 10 000 Kinder im Gazastreifen ermordet, im Durchschnitt also sechs Kinder pro Stunde. Bereits Ende November hatte Israel mehr Kinder2 getötet als in allen Hauptkonfliktzonen der Welt zusammengezählt während des ganzen Jahres 2023 – inklusive des Ukraine-Russland-Kriegs. James Elder3, Sprecher des Kinderhilfswerks UNICEF, beschrieb die Lage wie folgt: «Gaza ist ein Friedhof für Tausende Kinder geworden.»
Insgesamt sind rund 70 Prozent4 aller Todesopfer Kinder und Frauen. Ein Bericht der New York Times5 zeigt, dass dieser Anteil in früheren Gazakriegen (2008/09, 2014, 2021) jeweils bei «nur» etwa 40 Prozent lag. Hinzu kommen mindestens 374 getötete Angestellte des Gesundheitswesens6, 87 Journalist:innen7 und 146 UNO-Mitarbeitende8. In der 78-jährigen Geschichte der Vereinigten Nationen ist dies der grösste Verlust an UNO-Mitarbeitenden während eines Konflikts.
In anderen Worten: Die israelischen Angriffe auf den Gazastreifen richten sich gegen die palästinensische Zivilbevölkerung und sind an Unverhältnismässigkeit nicht zu übertreffen.
Humanitäre Lage
Für diejenigen Palästinenser:innen im Gazastreifen, die den israelischen Massenmord bisher überlebt haben, wird die humanitäre Lage immer prekärer. Von den 2,2 Millionen Einwohner:innen wurden 85 Prozent9 aus ihren Häusern und Wohnungen vertrieben. Mehr als die Hälfte10 der Wohneinheiten wurden bereits zerstört. In überfüllten Schulen, Krankenhäusern und Flüchtlingslagern suchen Tausende von Familien Schutz. Dieser ist aber alles andere als garantiert, denn Israel greift auch solche Zivileinrichtungen an. So wurden bisher beispielsweise 378 Bildungseinrichtungen11 beschädigt oder zerstört.
Neben der ständigen Unsicherheit und Todesangst leidet die Bevölkerung unter Hunger, Wassermangel und schlechten Hygienezuständen. Im Durchschnitt lässt Israel täglich 100 Lastwagen12 mit Hilfslieferungen in das abgeriegelte Gebiet, 500 wären das benötigte Minimum. Ende Dezember schrieb die Weltgesundheitsorganisation WHO, dass 93 Prozent der Bevölkerung in Gaza akut von Hunger betroffen sei. Zudem breiten sich verstärkt Infektionskrankheiten aus13.
Philippe Lazzarini14, Chef des Hilfswerks für Palästinaflüchtlinge UNRWA, der selber in Gaza war, beschrieb die Lage vor Ort gegenüber SRF wie folgt: «Es fehlt den Menschen an allem, sie haben alles verloren, mussten alles zurücklassen. Sie haben ihre Häuser und Wohnungen verloren, haben Verwandte verloren. Sie besitzen nicht einmal mehr eine Decke oder eine Matratze. Seit Kriegsbeginn tragen sie dieselben Kleider. Die hygienischen Bedingungen sind absolut bemitleidenswert. Sie müssen stundenlang warten, um auf die Toilette gehen zu können.»
In Spitälern ist die Lage ebenso prekär. Von 36 Spitälern mussten 21 stillgelegt15 werden, viele wurden durch israelische Angriffe zerstört. Allein für die Zeit zwischen 7. Oktober und 24. November sind 30 Angriffe auf Spitäler in Gaza erfasst. Die restlichen 15 Spitäler sind nur teilweise funktionstüchtig. Der Mangel an medizinischen Versorgungsgütern und Personal sowie Treibstoff, Elektrizität und Wasser behindert die Arbeit der Gesundheitskräfte stark. So müssen Ärzt:innen Kindern ihre Beine ohne Narkose amputieren und von Fall zu Fall entscheiden, wen zu retten und wen sterben zu lassen.
Angesichts der schrecklichen Lebensbedingungen und der Zerstörung der zivilen Infrastruktur – inklusive des Kollapses des Gesundheitssystems – ist eingetroffen, wovor viele schon lange warnen: Gaza ist unbewohnbar.
- www.aljazeera.com/news/longform/2023/10/9/israel-hamas-war-in-maps-and-charts-livetracker
- www.nytimes.com/2023/11/25/world/middleeast/israel-gaza-death-toll.html
- www.unicef.org/press-releases/gaza-has-become-graveyard-thousands-children
- Siehe Fussnote 1.
- www.nytimes.com/2023/11/25/world/middleeast/israel-gaza-death-toll.html
- www.aljazeera.com/features/longform/2024/1/23/how-doctors-in-gaza-persevere-amid-israel-attacks
- Siehe Fussnote 1.
- www.unrwa.org/resources/reports/unrwa-situation-report-61-situation-gaza-strip-andwest-bank-including-east-Jerusalem und www.news.un.org/en/story/2023/11/1143512
- www.ohchr.org/en/press-releases/2023/12/israel-working-expel-civilian-population-gaza-un-expert-warns
- Siehe Fussnote 1.
- Siehe Fussnote 1.
- www.theguardian.com/world/2024/jan/19/usfood-medicine-aid-gaza-un-famine-warningsisrael
- www.who.int/news/item/21-12-2023-lethal-combination-of-hunger-and-disease-to-lead-to-more-deaths-in-gaza
- www.srf.ch/news/international/dramatische-humanitaere-lage-unrwa-chef-die-bevoelkerung-von-gaza-wurde-ihrer-wuerde-beraubt
- www.aljazeera.com/features/longform/2024/1/23/how-doctors-in-gaza-persevere-amid-israel-attacks