Hasbara: Desinformation als «israelische Massenvernichtungswaffe»

Während Kriegen und bewaffneten Aggressionen ist Desinformation eine mächtige Waffe – ein Werkzeug, um die Opfer zu entmenschlichen, Massengewalt zu rechtfertigen und vor allem Zweifel zu säen, um Rufe nach Eingreifen mundtot zu machen.

«Hasbara», das hebräische Wort für «erklären», ist in Israel in bestehenden Konzepten der staatlich geförderten Propaganda und Informationskriegsführung verwurzelt. Sie zielt darauf ab, die Parameter eines akzeptablen Diskurses schlechthin zu formen. Dies erfordert eine koordinierte Anstrengung von staatlichen Institutionen und NGOs, um die innere Einheit Israels zu gewährleisten, die Unterstützung von Verbündeten zu sichern und die Art und Weise zu beeinflussen, wie Medien, Intellektuelle und einflussreiche Personen über Israel sprechen.

Zweifel säen

Der Begriff «Hasbara» und seine heutige Verwendung, insbesondere durch die Armee, tauchte erstmals im Jahr 2000 auf. Am 30. September jenes Jahres war der 12-jährige Muhammad al-Durrah bei einem Schusswechsel zwischen israelischen Soldaten und palästinensischen Sicherheitskräften durch das israelische Militär erschossen worden. Der Moment von Muhammads Tod wurde gefilmt, und da die israelischen Propagandist: innen nicht in der Lage waren, den Mord kategorisch zu leugnen, griffen sie auf die schlichte Delegitimierung der Quelle zurück und behaupteten, es habe sich um eine palästinensische Inszenierung gehandelt. Dabei spielte keine Rolle, dass der Mord gefilmt und von Augenzeugen bestätigt wurde. Wichtig war nur, dass alle palästinensischen Behauptungen von nun an mit Zweifeln behaftet waren! Diese zunächst marginale Taktik ist mittlerweile zu einer offiziellen Strategie der israelischen Regierung geworden.

«Zweifel» zu säen, diese Strategie war noch nie so ausgeprägt wie in Israels ununterbrochenem Angriff auf Krankenhäuser und die Gesundheitsinfrastruktur in Gaza seit dem 7. Oktober 2023. Am 27. Oktober veröffentlichte das offizielle X-Konto der israelischen Armee die 3D-Darstellung eines komplizierten Labyrinths von Tunneln und Bunkern unter dem Al-Shifa- Krankenhaus und behauptete, die Hamas würde es als Kommandozentrale nutzen. Die Behauptungen waren präzise: Al-Shifa sei das «schlagende Herz» der Hamas-Kommandoinfrastruktur und mehrere Gebäude des Krankenhauses befänden sich direkt am oberen Ende von Tunneln, zu denen man von den Stationen des Krankenhauses aus Zugang habe.

Für seine Behauptungen hat Israel keine Beweise vorgelegt, aber das hat die Biden-Regierung und viele westliche Medien nicht davon abgehalten, die israelische Darstellung unmissverständlich zu wiederholen. Am 15. November stürmten die israelischen Streitkräfte das Al-Shifa-Krankenhaus. Was sie vorfanden, entsprach bei Weitem nicht ihren Behauptungen. Ein Tunnel, der übrigens mit Wissen der israelischen Armee gebaut worden war, als sie den Gazastreifen noch von innen besetzt hielt, verlief unter einem Randbereich des Krankenhausgeländes, aber keines der Krankenhausgebäude war mit dem Tunnelnetz verbunden und es gab keine Beweise für einen Zugang von den Stationen des Krankenhauses aus, keine Spuren von Gefangenen und vor allem keine Kommandozentrale. Al-Shifa stellte zwar den Eckpfeiler der israelischen Desinformationskampagne gegen die palästinensische Gesundheitsinfrastruktur dar, war aber bei Weitem nicht das einzige Ziel.

Indem Israel – unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt – die Idee in die Welt setzte, die Hamas und andere Widerstandsgruppen nutzten Krankenhäuser für militärische Zwecke, liess es Zweifel daran aufkommen, dass das gesamte Gesundheitssystem in Gaza den Schutz geniesst, den das humanitäre Völkerrecht gewährt. Damit veränderte Israel die Wahrnehmung seiner Angriffe auf Krankenhäuser von einer schamlosen Völkerrechtsverletzung zu einer Norm im Kontext der Selbstverteidigung.

Journalisten als «Vermittler:innen»

Auch wenn die letzten Monate offenbaren, wie grausam und plump die israelischen Taktiken der Informationsmanipulation sind, sind sie nicht neu. Tatsächlich erinnern viele der israelischen Argumente, die uns heute so vertraut geworden sind, auf seltsame Weise an die Rhetorik, mit der die USA die Massaker an Zivilist: innen in Vietnam oder die Massaker im ersten Golfkrieg 1991 rechtfertigten.

Im Übrigen wäre die Manipulation ohne die Komplizenschaft von Journalist:innen nicht so effektiv. Anstatt die falschen Behauptungen zu hinterfragen und zu entlarven, haben viele von ihnen auf Objektivität und journalistische Sorgfalt verzichtet und sich freiwillig oder unfreiwillig zu Sprecher:innen der israelischen Armee gemacht.

Effektiver Journalismus erfordert eine ständige Überprüfung der Fakten und einen Reflex des Skeptizismus. Indem Journalist:innen die besonders drakonischen Zensurbedingungen der israelischen Regierung akzeptieren und die Erklärungen von Armee- und Regierungssprechern übernehmen, richten sie mehr Schaden als Nutzen an. Die Informationen, die sie veröffentlichen dürfen, werden sorgfältig ausgewählt, um das Zielen und Töten palästinensischer Zivilist:innen zu rechtfertigen. Indem Journalist:innen nur das bewilligte Narrativ einer Armee wiedergeben, die derzeit an einem Völkermord beteiligt ist, bieten sie tatsächlich eine Plattform für die Rechtfertigung von Kriegsverbrechen.


Quelle und vollständige Fassung
Al-Shabaka, 12 mars 2024, www.al-shabaka.org/briefs/israels-disinformation-apparatus-a-key-weapon-in-its-arsenal. Die Auswahl hat Véronique Goël vorbereitet.

Tariq Kenney-Shawa ist Forscher für US-Politik bei Al-Shabaka und Co-Moderator der Al-Shabaka-Reihe Policy Lab. Er hat einen Master-Abschluss in International Affairs von der Columbia University.