Unis: Lokale Mobilisierungen – globale Dimension
Birgit Althaler
Beispielhaft für die Studierendenbewegung in Solidarität mit den Palästinenser:innen ist die Columbia University in New York, die mit wiederholten Protestcamps viele andere Unibesetzungen in den USA und weltweit inspiriert hat. Massgeblich sind dabei Students for Justice in Palestine und Jewish Voice for Peace sowie ein breites Bündnis aus rund 120 Studierendengruppen (CUAD). Bereits seit November gibt es an US-amerikanischen Universitäten Solidaritätsaktionen, es kam zu ersten Verhaftungen und die Medien heizten mit Antisemitismusvorwürfen gegen die Studierenden ein. In Kongress-Hearings mussten sich einzelne Rektorinnen wegen ihrer angeblich zu laschen Haltung gegenüber den Protesten verteidigen und wurden zum Rücktritt gedrängt. Gegen Lehrkräfte, die sich mit den Palästinenser: innen solidarisieren, findet an vielen Bildungsinstitutionen eine regelrechte Hexenjagd statt, die Kritiker: innen vor einer neuen Ära des McCarthyismus warnen lässt.1
An der Columbia University wurden ab Mitte April verschiedene Protestcamps organisiert, die die Universitätsleitung von der Polizei räumen liess. Mehrere Personen inklusive Professor:innen wurden festgenommen, was eine breite Solidaritätsbewegung im ganzen Land auslöste. Es folgten Camps, Besetzungen, Sit-ins und andere Proteste an 140 Universitäten im ganzen Land.2 Vereinzelt kam es zu Provokationen zionistischer Gruppen, und das US-Repräsentantenhaus beeilte sich, eine Erweiterung der Antisemitismusdefinition gemäss IHRA-Vorschlag zu verabschieden. Zuspruch erhielten die Studierenden nicht nur von einem Teil des Lehrkörpers, sondern auch von prominenten Politikern wie Bernie Sanders, einigen demokratischen Kongressmitgliedern und über 200 fortschrittlichen NGOs.3 Auffallend ist, dass Strafverfahren insbesondere an den Unis (wie CUNY in New York) eingeleitet wurden, an denen sozial Benachteiligte und People of Colour studieren, die in den Protestcamps erstmals so etwas wie Fürsorge erfahren hatten.4
Bis Mitte Mai erfasste die Protestwelle Universitäten in über 40 weiteren Ländern5, von Australien über Südafrika, Japan und Indien bis Marokko, Kuwait und Jemen, um nur einige zu nennen, und in mindestens 17 Ländern Ost- und Westeuropas. Selbst an Hochschulen in Deutschland, Österreich und Frankreich mit ihrem besonders repressiven, israelfreundlichen Klima liessen sich Studierende von Protestcamps nicht abhalten. In Grossbritannien wurde im Sommer ein Bündnis aus 15 Studierendenorganisationen gegründet, die sich gegen die Komplizenschaft britischer Unis mit Israel engagieren.6
Die Universitätsleitungen reagierten unterschiedlich. Manche, insbesondere in Grossbritannien, liessen sich auf Verhandlungen mit den Studierenden ein und kamen deren Forderungen entgegen. Am weitreichendsten sind die Konsequenzen in Spanien.7 An der Uni Barcelona stimmte der Senat Anfang Mai einem Antrag der Studierenden zu, bis zum Ende des Genozids alle institutionellen Verbindungen mit Israel einschliesslich Forschungszentren und Unternehmen auf zukündigen. Bis Ende Mai sind sieben der insgesamt 77 Unis dem Beispiel gefolgt und 120 Forschungsgruppen haben sich in einem offenen Brief für die Beendigung von Kooperationen ausgesprochen. Andre europäische Universitäten (Helsiniki, Kopenhagen, Ghent, Dublin) sowie vereinzelt Hochschulen in den USA und Kanada erklärten sich bereit, ihre Beteiligungen und Partnerschaften mit israelischen Institutionen und Unternehmen, die im besetzten Gebiet tätig sind, zu überprüfen oder aufzukündigen. Manche willigten ein, einen Ethikrat zur Überprüfung der Beteiligungen und Partnerschaften zu bilden. Verschiedene Unis in den USA haben Unterstützungsprogramme für palästinensische Akademiker:innen beschlossen.8
Andere setzten auf Repression und liessen die Protestcamps unter Einsatz von teilweise massiver Polizeigewalt räumen. In den USA wurden über 3000 Studierende festgenommen, und auch in Amsterdam und Paris kam es zu Massenverhaftungen. Studierende wurden und werden teilweise suspendiert, vom Studium ausgeschlossen oder aus den universitätseigenen Wohnheimen rausgeworfen, viele müssen mit Strafverfahren rechnen. Über den Sommer haben viele Universitätsleitungen verschärfte Regeln eingeführt, um zu verhindern, dass nach den Semesterferien die Proteste wieder aufgegriffen werden können. Kritiker:innen sprechen von einem «Polizeistaat».9 Die Dimension der Repression steht in keinem Verhältnis zu den gemäss einer unabhängigen Studie10 überwiegend friedlich verlaufenen Camps, Kundgebungen, Veranstaltungen und Aktionen. Der Vorwurf, die Proteste zeichneten sich durch ein antisemitisches Klima aus, wurde auch von jüdischen Studierenden entschieden zurückgewiesen und stützt sich mehrheitlich auf Definitionen von Antisemitismus, die eigentlich Kritik an Israel meinen.11
Im Zentrum der Forderungen steht, dass die Unis den Völkermord im Gazastreifen verurteilen und sich für einen Waffenstillstand aussprechen. Zudem sollen sie ihre Anteile an Unternehmen, die an der Unterdrückung der Palästinenser:innen beteiligt sind, und ihre Partnerschaften mit israelischen Universitäten offenlegen und aufkündigen. Wie sehr israelische akademische Einrichtungen mit Armee und Politik verstrickt sind, dokumentieren die 2004 lancierte palästinensische Kampagne für einen akademischen und kulturellen Boykott Israels (PACBI)12, die auch Kriterien für den institutionellen Boykott ausgearbeitet hat, und andere Publikationen (siehe Kasten).
Nach dem repressiven Vorgehen vieler Rektorate rückte zudem die Forderung ins Zentrum, alle Sanktionen und Klagen gegen Beteiligte fallen zu lassen und das Recht auf freie Meinungsäusserung, auch in Form von Protestcamps, zu respektieren. Die Forderung, Freiräume für kontroverse politische Debatten an Hochschulen zu eröffnen und damit auch einen weiter gefassten Bildungsauftrag zu erfüllen, wird auch von vielen Hochschuldozent:innen unterstützt13 – wofür ihnen etwa in Deutschland eine Welle der Empörung entgegenschlug und die Bildungsministerin sogar Sanktionen in Erwägung zog. Gegen die hetzerische Berichterstattung der Bild-Zeitung reichten das Präsidium der Humboldt-Universität und andre Betroffene eine Klage beim Deutschen Presserat ein. Demokratische Grundrechte wie die Meinungs- und Versammlungsfreiheit, die auch für «nicht-konstruktiven, provokativen und nicht auf Dialog ausgerichteten Protest» gelten, werden gerade in Deutschland, das neben den USA eine wesentliche Stütze der israelischen Kriegsführung im Gazastreifen ist, zunehmend ausgehöhlt.14 Einen spektakulären Meinungsumschwung hat der US-amerikanische Verband der Hochschulprofessor:innen vollzogen, der seine frühere Position revidiert und akademischen Boykott neu als legitime Haltung bezeichnet, für die weder Akademiker:innen noch Studierende sanktioniert werden dürfen.15
Schweiz
Auch in der Schweiz beteiligen sich seit Oktober an den Kundgebungen gegen den Genozid im Gazastreifen viele junge Menschen und es entstanden Kontakte zwischen Studierenden verschiedener Fachrichtungen. So machte der Protest auch vor Universitäten, Lehrlingsausbildungen und Schulen nicht Halt. Ausgehend von Lausanne und Genf, wurden zwischen Mai und Juni an allen Hochschulstandorten (ausser St. Gallen) Proteste organisiert. Für Herbst ist mit einer Wiederaufnahme der Mobilisierungen zu rechnen.
Von Anfang an reagierten die Hochschulleitungen abweisend auf Versuche, Räume für Veranstaltungen und Versammlungen zur Verfügung zu stellen, um die politische Lage zu diskutieren und Forderungen und Aktionen vorzubereiten. Stattdessen liessen sie sich von israelfreundlichen Medien und deren hetzerischer Berichterstattung unter Druck setzen. Die Technische Hochschule in Lausanne (EPFL) suspendierte nach Intervention einer zionistischen Uni-Gruppe das feministische Kollektiv Polyquity für ein angeblich «hasserfülltes und bedrohliches» antikoloniales Referat, zog diese Massnahme nach Protesten jedoch wieder zurück. An der Uni Basel wurde eine Veranstaltung der Marxist Students Society mit dem Argument verboten, sie käme einem «Aufruf zu Hass» gleich. Die Rektorin liess sich nach hetzerischen Artikeln der Basler Zeitung gegen den Studiengang Urban Studies zudem dazu hinreissen, einem Journalisten der Sonntagszeitung zuzustimmen, der dort gelehrte Postkolonialismus sei eine Ideologie, die «die Welt in Täter (Weisse, der Westen) und Opfer (People of Color, der globale Süden) unterteilt und keinerlei Grautöne zulässt».16 Studierende der Philosophisch-Historischen Fakultät kritisierten die Rektorin darauf in einem offenen Brief17 für ihr skandalöses Statement und der Historiker Georg Kreis verteidigte18 den Postkolonialismus als legitime, auch für die Schweiz relevante Wissenschaft. Der Ideologie-Vorwurf entspringe oft Haltungen, die selbst ideologisch geprägt seien.
Eine Kontroverse erfasste auch den Fachbereich Architektur der ETH Zürich, der immer wieder von der NZZ angegriffen wird. Nachdem die Zeitung dem französischen Architekten und Professor Léopold Lambert Hass auf Israel und Sympathien mit der Hamas unterstellte, sagte die Unileitung ein geplantes Referat zum Thema «Weaponised Architecture: Settler Colonialism and the Built Environment in Palestine» ab. Weil Lambert es ablehnte, eine Erklärung der ETH zu unterzeichnen, die den Terroranschlag von Hamas und Dschihad verurteilt, die Palästinenser:innen und ihre legitimen Rechte aber mit keinem Wort erwähnt, warf sie ihm vor, sich zu wenig von Gewalt zu distanzieren. In einem offenen Brief19 kritisieren rund 2000 Fachkolleg:innen die ETH-Leitung, sich in einem Klima der Zensur von Wissenschaftler:innen, die für die Rechte der Palästinenser: innen eintreten, dem Druck des Boulevards zu beugen und «in skandalöser Abstraktion» im Ton «legendärer (kolonialer) Schweizer ‹Neutralität›» Palästina und die Palästinenser:innen auszulöschen.
Die Beispiele sind symptomatisch. Diese koloniale Gewalt, die den Umgang Israels mit den Palästinenser: innen kennzeichnet, wird von Schweizer Hochschulleitungen, den grossen Medien und Parlamentarier: innen mehrheitlich ignoriert. Während die Studierenden den Angriff palästinensischer Milizen vom 7. Oktober in den Kontext jahrzehntelanger institutionalisierter Gewalt und Unterdrückung der Palästinenser: innen stellen und aufzeigen, welche Schlüsselrolle auch akademische Institutionen dabei spielen, gilt die Sorge der Rektorate der reibungslosen Aufrechterhaltung des Betriebs oder der Wortwahl, mit der israelische Politik ihrer Ansicht nach kritisiert werden darf – oder auch nicht. Statt sich einer Diskussion über Apartheid, Genozid und Siedlerkolonialismus zu stellen, greifen sie zu autoritären Ordnungsrufen und überlassen deren Durchsetzung der Polizei.20 Statt die systematischen Angriffe auf palästinensische Bildungseinrichtungen zu verurteilen und einen Waffenstillstand zu fordern, faseln sie von der Notwendigkeit, zum Schutz von Studierenden, die angesichts der politischen Proteste Unbehagen empfänden, diese von den Unis fernzuhalten. Statt einer kritischen, auch kontroversen Auseinandersetzung mit den Strukturen und Mechanismen der Unterdrückung und der europäischen und Schweizer Mitverantwortung für deren Aufrechterhaltung verbieten sie den Ruf nach Befreiung (vom Jordan bis zum Mittelmeer) und verschanzen sich hinter der selbstherrlichen und elitären Behauptung, wissenschaftliche Institutionen dürften niemals boykottiert werden, da von ihnen der (positive) Wandel ausgehe.
Diese Haltung bleibt nicht unwidersprochen. Immer wieder verteidigen Angehörige des Mittelbaus und Professor:innen die Legitimität von Studierendenprotesten, solange sie gewaltlos sind.21 Rund 600 Dozierende und Forschende kritisieren in einem vierseitigen Schreiben22 den Einsatz von Gewalt und die Einschüchterung von friedlich protestierenden Studierenden sowie eine gefährliche Verkennung des Wesens der Hochschulautonomie. Es sei wichtig, sich gegen die Einflussnahme politischer Akteur:innen auf die Ausrichtung der Forschung und gegen die öffentliche Diffamierung von Forschenden zu wehren. In einem kurzen Antwortschreiben weicht swissuniversities, der Dachverband der Schweizer Hochschulen, den Bedenken der Autor:innen im Wesentlichen aus. Auch Amnesty International zeigt sich besorgt über die in ganz Europa und auch in der Schweiz zunehmende Einschränkung demokratischer Rechte. In einer Medienmitteilung vom 15. Mai werden die Einschüchterungsversuche der Hochschulleitungen kritisiert und an die Pflicht der Universitäten erinnert, die Meinungsfreiheit zu garantieren.23 In einem neuen Bericht heisst es: «Europaweit schaffen repressive Gesetze und Massnahmen in Verbindung mit ungerechtfertigten Praktiken und dem missbräuchlichen Einsatz von Überwachungstechnologien ein toxisches Umfeld, das eine ernsthafte Bedrohung für friedliche Proteste und deren Organisator*innen und Teilnehmer*innen darstellt.»24 Zudem ist von einem «beunruhigenden Trend der Verunglimpfung durch die Behörden» die Rede, der darauf abziele, Demonstrierende und Proteste zu delegitimieren. Zur Situation in der Schweiz mit ihren unübersichtlichen kantonalen Regeln will Amnesty im Herbst einen Bericht herausgeben.
Obwohl die Repression insbesondere für Studierende aus dem Ausland oder in prekären Verhältnissen ein hohes Risiko bedeutet und die Polizeieinsätze von allen Betroffenen als einschüchternd bezeichnet werden, lassen sie sich dadurch nicht von ihrem Protest abbringen. Viele Studierende betonen, die Dimension der Proteste reiche weit über das Thema Palästina hinaus und habe ihren Blick auf die Welt und die gesellschaftlichen Strukturen generell verändert – so etwa in Bezug auf Diskriminierung und Rassismus oder Repression und Überwachung, die sie in einen globalen Kontext setzen. Die Reaktion der Rektorate wird als Bedrohung der Meinungs- und Forschungsfreiheit und demokratischer Gesellschaften wahrgenommen und die Medienberichterstattung sowohl bezüglich der Situation in Gaza als auch der Proteste und ihrer Anliegen als völlig inadäquat erlebt. Beides verdeutlicht, wie opportunistisch und den eigenen Privilegien verpflichtet etablierte Institutionen in diesem Land reagieren und wie wenig sie bereit sind, sich mit dem Erbe kolonialer Ausbeutung und rassistischer Dominanz zu befassen, die auch im westlichen Umgang mit den Rechten der Palästinenser:innen eine entscheidende Rolle spielen. Die Hochschulen verharmlosen zudem die politische Brisanz von Forschungsprojekten und Kooperationen und tragen dazu bei, das israelische Apartheidregime vor Konsequenzen für seine systematischen Menschen- und Völkerrechtsverletzungen zu schützen. Wobei das Bewusstsein über diese Zusammenhänge gerade in technischen und naturwissenschaftlichen Fächern, auf deren «Exzellenz » und wirtschaftliche Rentabilität die Universitäten so stolz sind, viel schwächer ausgeprägt ist als in den Sozial- und Geisteswissenschaften.
In deutlichem Gegensatz dazu steht das subjektive Erleben der an den Protesten beteiligten Studierenden, die betonen, dass mit hoher Motivation und Enthusiasmus in kurzer Zeit demokratische Formen der Selbstorganisation entwickelt wurden, die es sonst an den Unis nicht gibt. Die Stimmung wurde als partizipativ und inklusiv erlebt, es fand ein Wissensaustausch über Städte und Länder hinweg statt, öffentlich zugängliche Medienkanäle (insb. Instagram und WhatsApp) wurden eingerichtet, um über Ergebnisse der Recherchen, Forderungen und Updates zu den Protestformen zu kommunizieren.25 Überraschend war die grosse Unterstützung der Protestcamps aus der Nachbarschaft, beispielsweise durch Essensspenden. Eine Studentin der Musikakademie fasst ihre Erfahrung so zusammen: «In der Ausbildung lernen wir, sehr genau Musik zu hören; in der Bewegung haben wir gelernt, uns gegenseitig zuzuhören. Es war eine überwältigende Erfahrung, nach Monaten der Anspannung aus der Isolation auszubrechen. Gerade als Musiker:innen agieren wir in grosser Abhängigkeit von Institutionen und in einem sehr kompetitiven, leistungsorientierten Umfeld.» Als sehr bewegend wurden die Abendprogramme erlebt, mit palästinensischer Musik, Informationsaustausch, Momenten der gemeinsamen Trauer und Strukturen der gegenseitigen Unterstützung – kurzum kreative Formen der Gemeinschaftsbildung, die auch private Beziehungen verändert haben und die Basis für die weitere Zusammenarbeit bilden. Denn allen ist klar, dass selbst mit einem hoffentlich bald ausgerufenen definitiven Waffenstillstand die Mobilisierung für eine dauerhafte Überwindung der Strukturen der israelischen Apartheid weitergehen müssen. Dazu gehört, die Kooperationen und Forschungsprogramme mit israelischen Universitäten und Forschungseinrichtungen, die es insbesondere, aber nicht nur in technischen und naturwissenschaftlichen Fächern gibt, genauer zu durchleuchten und den Druck zu erhöhen, damit die Schweizer Hochschulen diese aufkündigen und Schweizer Unternehmen ihre Investitionen in solchen Institutionen zurückziehen. Daneben brauchen auch die Studierenden und Dozent:innen im Gazastreifen ganz konkret Hilfe. In einem gemeinsamen Aufruf vom 20. Mai 2024 erinnern über 150 palästinensischen Akademiker:innen und Universitätsmitarbeitende an ihre Existenz und bekräftigen ihre Entschlossenheit, trotz der Zerstörung des Hochschulsektors im Gazastreifen durch das israelische Militär Lehre und Forschung an ihren Institutionen wieder aufzunehmen. Um dem anhaltenden Scholastizid entgegenzuwirken, rufen sie zu internationaler Unterstützung auf, um die Universitäten in Gaza zum frühestmöglichen Zeitpunkt wieder öffnen zu können.26
Mit Dank an die Studierenden, auf deren Informationen sich dieser Artikel stützt.
Leitlinien für akademischen Boykott
Die wesentlichen Grundsätze wurden von der Palästinensischen Kampagne für den akademischen und kulturellen Boykott Israels (PACBI) im Juli 2014 überarbeitet. Dazu gehört: PACBI ruft zu einem institutionellen Boykott auf, der gleichzeitig das universelle Recht auf akademische Freiheit wahrt. PACBI lehnt den Boykott von Individuen auf der Grundlage ihrer Identität (beispielsweise Nationalität, ethnische Herkunft, Geschlecht oder Religion), ihrer Meinungen oder ihrer Mitgliedschaft in akademischen Institutionen ab. Einzelpersonen, die als Vertreter:innen israelischer Institutionen auftreten, sind jedoch zu boykottieren. Aufgrund ihrer Komplizenschaft mit der Unterdrückung der Palästinenser:innen sind alle israelischen Hochschulinstitutionen sowie Projekte, die vom israelischen Staat und seinen Lobbygruppen finanziell unterstützt werden, zu boykottieren. Zu boykottieren sind auch Projekte der «Normalisierung », die den Unterschied zwischen Unterdrückern und Unterdrückten verschleiern. Weitere Detailregelungen, die sich auf jahrelange Erfahrungen stützen, finden sich im entsprechenden PACBI-Dokument.
Literatur zum Thema Akademischer Boykott
Eine der wichtigsten Referenzen zum Verständnis der zentralen Rolle der israelischen Universitäten bei der Gründung des zionistischen Staates ist das Buch von Maya Wind, Towers of Ivory and Steel. Durch das Buch wird sehr deutlich, wie die akademischen Einrichtungen in Israel standardmäßig ein Baustein des Siedlerkolonialismus und des Apartheidstaates sind – und diesem sogar vorausgingen. Durch die Akademiker:innen und ihre intellektuelle Macht erlangte der israelische Staat erhebliches politisches Prestige, was ihm zu internationaler Unterstützung und Legitimität als Teil der «entwickelten Welt» verhalf. Die Universitäten spielen eine wichtige Rolle in der Produktion von Wissen, das für die Errichtung des zionistischen Staates nötig ist, angefangen vom ideologischen Unterbau bis zur Entwicklung von Überwachungstechnologien, Waffen und militärischem Know-how, das direkt zur Kontrolle und Unterdrückung der palästinensischen Bevölkerung eingesetzt wird. Hinzu kommt, dass die Universitäten strategisch günstig in besetztem Land errichtet wurden – eine geopolitische Entscheidung, die mit der Enteignung der palästinensischen Bevölkerung von ihrem Land einhergeht. Darüber hinaus sind die Universitäten maßgeblich an der diskriminierenden Politik beteiligt, die das Recht der Palästinenser:innen auf Bildung und akademische Freiheit massiv einschränkt.
Weitere gute Grundlagen für den akademischen Boykott Israels sind das Buch von Eyal Sivan und Armelle Laborie, Legitimer Protest. Plädoyer für einen kulturellen und akademischen Boykott, Promedia 2018 (zum Preis von Fr. 15 bestellbar unter info@palaestina-info.ch) und die Broschüre des Alternative Information Center, Academic Boycott of Israel and the Complicity of Israeli Academic Institutions in Occupation of Palestinian Territories, 2009, siehe www.bdsmovement.net/files/2011/02/EOO23-24-Web.pdf.
Zusammenfassung: Catarina
- www.theintercept.com/2024/05/16/universitycollege-professors-israel-palestine-firing oder www.tinyurl.com/JodiDeanEntlassung. Für Frankreich z.B. www.commondreams.org/news/francois-burgat. Auch an israelischen Bildungseinrichtungen, deren Angestellte lange Zeit einen relativ gesicherten Status genossen, nimmt die Repression gegen Andersdenkende immer schärfere Züge an. Zwei israelische Forscher:innen warnen in einem Artikel davor, dass Israel mit einem Gesetzesentwurf zur Unterdrückung jeder Dissidenz an Hochschulen, der gute Chancen hat, in der Knesset eine Mehrheit zu finden, einen beängstigenden Schritt in Richtung Faschismus macht. www.tinyurl.com/fascism-academic-dissent.
- www.en.wikipedia.org/wiki/2024_pro-Palestinian_protests_on_university_campuses.
- www.tinyurl.com/SolidaritaetNGOs.
- www.tinyurl.com/MondoweissCUNYProzesse.
- www.tinyurl.com/WikipediaListeProteste und www.tinyurl.com/ZeitListeProteste. Die Listen sind unvollständig, wie Einträge zur Schweiz zeigen, wo an den Hochschulen und andren Bildungseinrichtungen aller grösseren Städte eine Bewegung entstanden ist.
- www.middleeasteye.net/news/uk-new-network-pro-palestine-student-groups-launches-following-encampments.
- Zur Aufkündigung von Partnerschaften zwischen spanischen und israelischen Unis, siehe www.elpais.com/educacion/2024-05-24/el-choque-entre-universidadesespanolas-e-israelies-crece-130-grupos-de-investigacion-presionan-para-que-mas-campus-rompan-relaciones.html.
- Siehe Norwegen, Spanien, die Niederlande, Belgien und Italien. Eine Karte mit den wichtigsten Universitäten, die den Forderungen der Studierenden komplett oder teilweise entgegengekommen sind, findet sich unter www.google.com/maps/d/viewer?mid=1f7tlRcPwfP_gauzJW9pLp0Se81erFwQ.
- www.theguardian.com/us-news/article/2024/aug/17/campus-protest-rules.
- www.theguardian.com/us-news/article/2024/may/10/peaceful-pro-palestinian-campus-protests.
- Selbst wenn es vereinzelt zu antijüdischen Vorfällen gekommen sein mag, ist bei diesen Vorwürfen Vorsicht geboten, da viele Medien und prozionistische Kreise nicht klar zwischen Israelkritik und Antisemitismus unterscheiden.
- www.bdsmovement.net/pacbi.
- www.tinyurl.com/OffenerBriefLehrendeDE.
- Zu das Interview mit dem Philosophieprofessor Robin Celikates, www.tinyurl.com/Celikates, oder das Grundsatzpapier zu Hochschulprotesten der beiden britischen Juristen Jeff King und David Mead, www.tinyurl.com/Menschenrechtsexperten.
- www.aaup.org/news/new-aaup-statement-academic-boycotts.
- www.tagesanzeiger.ch/israelkritik-baslerunirektorin-gibt-fehler-zu-746133817490.
- www.tinyurl.com/OffenerBriefRektorinBS.
- www.tinyurl.com/GeorgKreisPostkolonialismus. Auch Giorgio Miescher vom Zentrum für Afrikastudien sieht die Notwendigkeit, angesichts einer sehr verengten Diskussionskultur die Wissenschaftsfreiheit zu verteidigen. www.tinyurl.com/GMiescherWissenschaftsfreiheit.
- www.thefunambulist.net/editorials/eth-zurich-censors-talk-palestine-leopold-lambert.
- Vgl. dazu die Zusammenstellung auf www.academicfreedom-and-democracy.ch.
- Z.B. der Strafrechtler Markus Schefer, www.tinyurl.com/MScheferUniproteste.
- www.academic-freedom-and-democracy.ch.
- www.tinyurl.com/AmnestySchweizUnis.
- www.tinyurl.com/AmnestyRechtProtest.
- www.cep-epfl.ch/en/demands.html.
- www.gazauniversities.org «We built these universities from tents. And from tents, with the support of our friends, we will rebuild them once again.» Und Call by Gaza Academics and Administrators to the World, 29.5.2024 www.aljazeera.com/opinions/2024/5/29/open-letter-by-gaza-academics-and-university-administrators-to-the-world.